Das Sicherheitsgewerbe befindet sich seit der Wiedervereinigung vor 14 Jahren in einem permanenten Umstrukturierungsprozess - zuletzt beschleunigt durch die Strukturkrise im Geld- und Werttransport nach der Euro-Einführung. Die Ausgangssituation ist bekannt: Der Wettbewerb vollzieht sich immer noch weitgehend über den Preis, Qualitätsansprüche bleiben auf der Strecke. Insbesondere die öffentliche Hand mit ihrer Praxis, Aufträge an den billigsten Anbieter zu vergeben, trägt dazu bei, das Dienstleistungsniveau abzusenken. Diese Entwicklung erfasst zunehmend auch alle anderen Kundenbereiche. Eine Begleiterscheinung ist, dass Lohntarifverträge, die sich ohnehin im Niedrigstlohnbereich, kurz vor der von Gerichten als sittenwidrig gekennzeichneten Grenze bewegen, in der Praxis oft noch unterschritten werden. So liegen in Berlin trotz einem Tarifstundenlohn von 5,25 € neueste Lohnvereinbarungen für exponierte Objekte bei 4,11 €. Auf Qualität ausgerichtete Unternehmen müssen solchen Aufträge verlieren. Geht der Wettbewerb weiter über den Preis, sind die Unternehmen gezwungen, ihre Verwaltungskosten durch Abstriche an der Weiterbildung, der Qualifizierung der Führungskräfte, dem Controlling und der Ausrüstung zu senken. Diese Spirale nach unten kann nur durch einen verbindlichen Mindestlohn unterbrochen werden - eine Aufgabe der Bundesregierung.
Die öffentliche Hand und auch Unternehmen, die die aktuelle Preissituation nutzen, stehen ihren Interessen dabei auch selbst im Weg. Denn für eine weitere Kostenentlastung durch Outsourcing der verbliebenen höherwertigen Sicherheitsaufgaben werden sie auch höher qualifizierte Dienstleister benötigen. Doch niedriges Lohnniveau, niedrige Stundensätze und durch harten Wettbewerb gedrückte Margen haben gravierende Auswirkungen auf die Substanz der anbietenden Unternehmen. Vielfach reicht diese Substanz nicht aus, die gewünschten, und mit Blick auf künftige Aufgaben, notwendigen Strukturveränderungen umzusetzen. Insbesondere in der Personalentwicklung, im technischen und organisatorischen Ausbau sowie dem Aufbau einer moderneren Ablauforganisation müssten zusätzliche Mittel eingesetzt werden. Schon gar nicht lassen es solche Rahmenbedingungen zu, dass heute, wie noch in den 80er Jahren möglich, aus einem regionalen Mittelständler aus eigener Kraft ein deutschlandweit oder international tätiger Anbieter entsteht. „Nachhilfe“ für den deutschen Markt aus dem Ausland ist nicht zu erwarten. Der deutsche Sicherheitsmarkt ist für weitere große ausländische Anbieter nach dem Markteintritt von Securitas, Securicor und Falck nicht attraktiv genug.
Marktbereitung durch Ost-Unternehmen
Die Wahrscheinlichkeit einer Marktbereinigung wird in den nächsten Jahren wachsen: Wenn sich der europäische Markt für die EU-Beitrittsländer 2004 und 2007 weiter öffnet, werden vor allem in Deutschland die kostengünstiger arbeitenden Anbieter aus den östlichen Nachbarländern das Preisniveau weiter drücken. Nicht unwahrscheinlich ist, dass für den Kunden das Preis-Leistungs-Verhältnis gelegentlich dennoch günstiger ist als beim Einsatz deutscher Billigstkräfte. In Osteuropa, wo die private Sicherheit seit der Abkehr vom Kommunismus einen hohen Stellenwert hat, stehen inzwischen etablierte Unternehmen mit jungen, solide ausgebildeten und motivierten Mitarbeitern und in der Regel recht guter Technik bereit, zum Teil verbunden mit renommierten international agierenden Dienstleistern.
Im Gegensatz zu vielen anderen Gewerbebereichen der Beitrittsländer verfügt das osteuropäische Sicherheitsgewerbe über günstigere Voraussetzungen für den Wettbewerb in der europäischen Gemeinschaft. Es wird zwar Übergangszeiten für den grenzüberschreitenden Personaleinsatz geben, so dass nicht schon im April 2004 polnische Unternehmen mit eigenen Sicherheitskräften die Bundesministerien in Berlin bewachen werden. Doch sicherlich werden über „Werkverträge“ schon bald nach dem Beitrittstermin viele Aufgaben angegangen und der Boden für die grenzüberschreitende Expansion bereitet. Um gewerberechtliche Aufwendungen zu minimieren, sind auch Übernahmen oder Partnerschaften denkbar.
Osteuropäische Anbieter werden in Deutschland nicht bei Null beginnen müssen. Dafür wird unter anderem die Erfahrung mit der deutschen Wirtschaft sorgen, die beim notwendigen Schutz ihrer osteuropäischen Engagements inzwischen vielfache und teilweise wohl auch befriedigende Erfahrungen mit dortigen Sicherheitsanbietern gemacht hat. Kunden und Anbieter hatten in Osteuropa inzwischen über ein Jahrzehnt Zeit, die Unterschiede zwischen seriösen Sicherheitsdienstleistern und den in der Branche nach wie vor vorhandenen OK-Strukturen heraus zu arbeiten und sich entsprechend zu entscheiden. Dass die OK-Verflechtung aber nicht nur in den Beitrittsländern, sondern auch in Deutschland ein Problem sein kann, zeigen Erfahrungen des Autors. Schließlich ist es für Ausländer relativ einfach, in Deutschland ein Sicherheitsunternehmen zu gründen – am einfachsten zuerst ein Detektivbüro.
Die Folgen der Ich-AGs
Schon jetzt wird der auf dem Sicherheitsgewerbe lastende Preisdruck durch eine ganze Reihe von Neugründungen der von den Arbeitsämtern subventionierten „Ich-AGs“ verschärft, die, wie der Autor aus seiner Beratungstätigkeit weiß, teilweise über eine gute Auftragslage (Türsteher, Veranstaltungsschutz, Objektbewachung / Springer, Detektiv / Beobachtungen) verfügen. Mit der neuen Möglichkeit für sie, auch Personal beschäftigen zu können, stellen sie durch ihre günstigere Kostenstruktur insbesondere für kleinere Sicherheitsgesellschaften einen zu beachtenden Wettbewerbsfaktor dar.
Die Strukturprobleme der Branche werden durch die Ich-AGs weiter wachsen. Diese sind bei aller individuellen Motivation der Existenzgründer kaum - noch weniger als kleine Branchenunternehmen - in der Lage, die Mittel für eine kontinuierliche Qualifizierung sowie für die notwendige Technik aufzubringen. Sie werden in jenem Marktsegment, in dem den Kunden diese Basisqualifikation ausreicht, die (Preis-)Standards definieren und damit auch etablierte Sicherheitsanbieter zwingen, sich in Preis und Qualität nach unten anzupassen oder das Segment aufzugeben. Das Problem der festgestellten ausschließlichen Bindung als Subunternehmer (oft kostengünstiger Springer oder Aushilfen) an einen Auftraggeber wird dabei ignoriert und wohl auch selten verfolgt. Die Auswirkungen der Ich-AGs werden allerdings nicht jenes Ausmaß wie Anfang der 90er Jahre erreichen, als mehrere zehntausend Angehörige der Schutz- und Sicherheitsorgane der ehemaligen DDR in den Markt drängten und, obwohl zum Teil gut qualifiziert, bereit waren, im Niedriglohnbereich zu arbeiten, oder Firmen gründeten, die allerdings überwiegend nur kurze Zeit eigenständig blieben.
Die damaligen Defizite bei den rechtlichen Rahmenbedingungen für den Einstieg in das Gewerbe bestehen bis heute fort: Es ist einerseits die niedrige gewerberechtliche Hürde, die einen relativ leichten Zugang in das private Sicherheitsgewerbe ermöglicht, und andererseits die nach wie vor sehr niedrigen Qualifikationsanforderungen für die verschiedenen Tätigkeitsbereiche, die dessen spezifische Anziehungswirkung ausmachen. Die gewerberechtlichen Anforderungen gestatten es heute einem vorbestraften Kriminellen, unmittelbar nach seiner Haftentlassung zum Beispiel ins Detektivgewerbe zu wechseln. Es ist häufige Praxis, dass über diese erste, unkomplizierte Gewerbegründung „Privatdetektiv“ schrittweise Tätigkeiten in anderen Bereichen des Sicherheitsbewerbes aufgenommen werden - auch wenn dies in Einzelfällen rechtswidrig (meist ohne § 34 a) geschieht. Vor diesem gewerberechtlichen Hintergrund ist es auch nicht verwunderlich, dass osteuropäische Interessenten in Deutschland eigentlich keinen Partner brauchten, sie gründen ihre Firmen gleich selbst, haben ihre ersten Kunden unter ihren Landsleuten und deren Unternehmen, von denen keiner nach § 34a GewO fragt.
Über unseren Autor:
Dr. jur. Lutz Viëtor ist geschäftsführender Gesellschafter der „ISG International tätige Sicherheitsgesellschaft mbH“ in Berlin. Daneben ist er seit 1991 Eigentümer, Partner und Berater von Sicherheitsunternehmen in Ost- und Südosteuropa sowie internationaler Sicherheits- und Krisenberater, unter anderem für baltische Staatsbanken, sowie Sachverständiger BDSF. Vor der ISG-Gründung 1994 gehörte er der Geschäftsleitung der nach der Wiedervereinigung expandierenden mittelständischen Kruppa-Sicherheitsbüro-Gruppe (heute Pedus) an. Kontakt: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!